Einträge mit dem Tag ‘Geschichten’

Vor vielen Jahren -- vielleicht zehn oder etwas mehr -- habe ich in meiner Stammbuchhandlung zum ersten Mal einen Otherland-Band gesehen. Aus irgendeinem Grunde habe ich zwar ab und an einen Blick darauf geworfen, mich aber nie weiter dafür interessiert.

Inzwischen habe ich Stadt und Buchhandlung gewechselt, aber als mein Blick Anfang 2009 auf City of Golden Shadow fiel, da habe ich zugeschlagen. Die geheimnisvolle Stadt, die auf dem Buchdeckel abgebildet ist, mag bei meiner Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Aber wichtiger noch waren die Konnotationen, die in dem Namen Otherland mitschwangen: ich stelle mir eine Welt vor, die völlig anders ist, entrückt, eben nicht von dieser Welt. Das hat sich wieder so angefühlt wie damals, als der Protagonist eines Egan-Romans von seinen Kindheitserinnerungen an die Kähler-Mannigfaltigkeit berichtete; nur, daß ich damals sofort, nachdem ich das Zitat in einer Rezension entdeckt hatte, hin und weg war. Bei Otherland hat sich die Spannung langsam, über Jahre aufgebaut.

Nun lag der erste Band also vor mir. Daß es doch recht lange -- etwa ein Jahr -- gedauert hat, bis ich die gut neunhundert Seiten durchgelesen hatte, stellt ihm kein gutes Zeugnis aus.

Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft. Ein weltweites Computernetzwerk -- man könnte es Web 3.0 nennen -- ist allgegenwärtig, und der Zugang erfolgt in der Regel in der Art der virtuellen Realität: man sitzt nicht vor dem Bildschirm, sondern taucht mit Brille und Datenhandschuhen (oder gleich durch ein Implantat) völlig ein in die Computerwelt.

Der Autor präsentiert eine Reihe von Erzählsträngen, die erst im Laufe der Zeit zusammengeführt werden. Da gibt es Thargor, den sehr stereotypen schwertschwingenden Helden in einer ebenso stereotypen Fantasywelt, offensichtlich ein Rollenspiel. Dazu findet man einige undurchsichtigere Episoden, etwa über einen psychopathischen Serienmörder oder einen altägyptischen Gottkönig.

Sehr beeindruckend im Sinne meiner Otherland-Erwartungen, aber auch sehr beängstigend finde ich die Handlung um Paul Jonas, die das Buch auch eröffnet: er ist Soldat in einem Schützengraben im ersten Weltkrieg, aber Kulisse und Handlung sind in ihrem Schrecken seltsam abstrahiert, der Beschuß nie endend, Jonas' Erinnerung verblaßt, sein Erleben von seltsamen Träumen geprägt. Dieser Erzählstrang blieb für mich lange unklar, aber er gehört zu den stärkeren Seiten des Romans.

Die Haupthandlung ist dagegen so gewöhnlich, daß sie sich fast im eigenen Bekanntenkreis abspielen könnte: die Südafrikanerin Irene Sulaweyo (Renie) lehrt an der Universität, muß sich aber nebenbei um ihren Bruder kümmern, der noch ein Kind ist, und ihren Vater, der seit dem Tod der Mutter apathisch geworden und dem Alkohol verfallen ist. Ihre kleinen Sorgen und Nöte spitzen sich zu, als ihr Bruder plötzlich ins Koma fällt. Bei ihren Recherchen findet Renie heraus, daß es überall auf der Welt ähnliche Fälle gibt. Zusammen mit einem ihrer Studenten, dem Buschmann !Xabbu, macht sie sich daran, den Grund für die Epidemie aufzudecken.

Ich bin durchaus kein Feind von Erzählungen mit Längen -- allerdings erwarte ich schon, daß diese Längen einen erzählerischen Sinn haben. Wenn City of Golden Shadow an die vierhundert Seiten Vorgeplänkel braucht, bis der Leser überhaupt weiß, worum es sich dreht -- bis sozusagen die Frage gestellt ist und die Suche nach der Antwort beginnen kann -- dann möchte ich auch, daß das Vorgeplänkel an sich und ohne den Hintergrund des Romans eine spannende Geschichte bietet. Frei nach Saint-Exupéry soll eben kein Satz gestrichen werden können. Bei einigen der Erzählstränge hat Williams das geschafft -- vor allem eben bei dem um Paul Jonas -- aber die Geschichte um Renie plätschert leider recht langweilig vor sich hin. Wenn es andererseits nur um die Vorstellung der Charaktere gegangen wäre, dann hätte man das auch wesentlich weniger raumgreifend tun können.

Ab diesem Punkt, an dem also Charaktere und Kulisse an Ort und Stelle sind und die eigentliche Handlung beginnt, ist das Buch dann endlich spannend und mitreißend bis zur letzten Seite. Damit sind wir auch schon bei dem zweiten Problem, das ich mit City of Golden Shadow habe: es hat kein Ende. Damit meine ich nicht, daß etwa das Dénouement zugunsten eines Cliffhangers fehlte. Vielmehr hört das Buch einfach mitten in der Handlung -- aber mitnichten an einer herausragend spannenden Stelle -- auf. Zugegeben, Otherland gilt als ein langer Roman, der lediglich aufgrund äußerer Umstände in vier Bänden erschienen ist (Bücher mit viertausend Seiten lassen sich nunmal schlecht binden oder verkaufen). Allerdings erwarte ich trotzdem, daß die einzelnen Bände wenigstens in Grundzügen einen Abschluß bieten, zum Beispiel indem eine Teilhandlung beendet und die nächste noch nicht begonnen ist. Das klappt bei den allseits beliebten Trilogien ja auch, selbst beim Herrn der Ringe, der ursprünglich als einbändiges Werk geplant und dann vom Verlag aus wirtschaftlichen Gründen geteilt wurde.

Zusammenfassend finde ich -- ohne Kenntnis der anderen Bände -- die Geschichte durchaus interessant und spannend, wegen des viel zu langen Anfangs und des fehlenden Endes mag ich aber trotzdem nur drei von fünf Sternen vergeben.

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Es fällt mir ein bißchen schwer, eine Rezension für The Inimitable Jeeves zu schreiben: eigentlich ist alles wesentliche schon gesagt. Das ursprünglich 1923 erschienene Buch enthält bestes Jeeves-und-Wooster-Material, präsentiert mit Wodehouse'schem Sprachwitz: Bingo Little geht durch diverse Liebschaften, Berties Vettern schlagen über die Stränge, und gewettet wird auf alles, sogar auf die Länge von Predigten.

I buzzed into the flat like an east wind ... and there was the box of cigarettes on the small table and the illustrated weekly papers on the big table and my slippers on the floor, and every dashed thing so bally right, if you know what I mean, that I started to calm down in the first two seconds.

In gewisser Weise erinnert das Lesen des Buchs an das Leben von Bertie Wooster: eigentlich passiert immer wieder das gleiche; aber das wirkt überhaupt nicht langweilig, sondern in seiner Vertrautheit anrührend, sozusagen das literarische Äquivalent zum Sessel am Kamin.

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How these papers have been placed in sequence will be made clear in the reading of them.

Ich fahre gerade durch Minden, und der ausgelesene Dracula liegt vor mir. Daß ich zwei Jahre für die gut fünfhundert kleinformatigen Seiten gebraucht habe, liegt nicht -- wie man vielleicht vermuten könnte -- am Text selbst; es ist allein der Tatsache geschuldet, daß dieses Buch, einmal unterwegs begonnen, für mich zur Reiselektüre geworden ist, die ich nur im Zug wirklich lesen mag.

Stokers Dracula ist sicher einer der bekanntesten Romane; ich möchte aber bezweifeln, ob er auch zu den meistgelesenen gehört: er dürfte vielmehr als Symbol für unzählige Filme (oft unter gleichem Namen) und Bücher stehen.

Für mich ist das Interessanteste an der Geschichte nicht die Handlung an sich -- Vampirbücher gibt es schließlich genug am Markt; auch die Art der Erzählung, eine Sammlung von Briefen, Telegrammen und Tagebucheinträgen, ist zwar nicht völlig gewöhnlich, aber auch nicht gerade einzigartig. Sehr schön gelungen finde ich hier übrigens die verschachtelten Berichte aus Kostovas Historian.

Nein, der wirklich interessante Punkt ist der Einblick in die viktorianische Gesellschaft, die der Leser erhält. Ich kann nur vermuten, daß dies einem zeitgenössischen Leser kaum auffiele -- aus heutiger Sicht jedoch springt die Fremdheit fast aus jeder Zeile heraus. Sei es Klassentrennung, die starken Geschlechterrollen, oder die alles durchdringende Religiosität -- die Unterschiede zum einundzwanzigsten Jahrhundert muten um so stärker an, als Urbanisierung und technischer Fortschritt im ausgehenden neunzehnten ihrem heutigen Zustand schon recht nahekommen.

May it not frighten her terribly? It is unusual to break into a lady's room!

An dieser Stelle möchte ich exemplarisch die Klassengesellschaft herausgreifen.

Da gibt es den Arbeiter: dem Bier zugetan, verstockt bis unterwürfig (je nach Trockenheit der Kehle), einfältig oder bestenfalls mit Bauernschläue beseelt.
Welch Unterschied dazu der Bürger aus der Mittelschicht: mit untadeligem Benehmen, prinzipientreu, jederzeit dem Wohl anderer und der Gesellschaft verpflichtet.
Ja, und dann haben wir natürlich noch den Aristokraten, dem zusätzlich ein Führungsanspruch zu eigen ist: sei es, daß er jederzeit mit jedem Menschen sprechen kann, wenn er es wünscht; sei es, daß eigentlich absolute Verschwiegenheit ihm gegenüber doch nicht unbedingt gewahrt wird.

Nun wäre es natürlich naiv, anzunehmen, heutzutage existierten keine Schichten oder Geschlechterrollen mehr. Nicht ganz sicher bin ich mir aber, ob die hier dargestellten viel krasseren Unterschiede den Blick für unsere Welt eher schärfen oder verstellen. Wie dem auch sei: fünf Sterne und eine Leseempfehlung gibt es in jedem Falle.

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Als wir gestern aus dem Kino kamen, fiel der Blick der Eule auf die Bildschirme mit dem aktuellen Programm. Wir hatten Sherlock Holmes gesehen -- eine ungewöhnliche Adaption der alten Geschichten, die aber sehr gut gelungen ist. Zwar geht es hier auch actionreicher zur Sache als in den anderen Verfilmungen, aber der Hauptunterschied ist  Holmes selbst: ungepflegt, mit Dreitagebart, in zerschlissener Kleidung, verschanzt er sich tagelang in seinem ungelüfteten Zimmer; das paßt erst einmal gar nicht zu dem Doyle'schen Gentleman mit dem scharfgeschnittenen Gesicht. Und doch: unter diesen Äußerlichkeiten ist das der Holmes, den wir kennen. Exzentrisch, brilliant, beharrlich -- und Gesellschaft erträgt er eben nicht immer. Ja, diesen Holmes fand ich sehr gut getroffen. Positiv vermerken möchte ich auch, daß Watson etwas selbstbewußter und intelligenter -- damit auch realistischer -- dargestellt wird, als das in den Büchern der Fall ist. Wenn ein Arzt, der in Indien gedient hat, keinen Schlangenbiß erkennt, geht einem doch echt der Hut hoch.

Ja, wir kamen also aus dem Kino, und die Eule blickte auf das Programm; genauer gesagt, auf Alice. Wir haben dann noch ein bißchen hin und her diskutiert: sollen wir? sollen wir nicht? aber letztlich sah uns der Abend doch wieder an der Kasse. Zugegeben, elf Uhr ist nicht unbedingt der ideale Startzeitpunkt für einen Kinofilm, wenn man am nächsten Tag arbeiten muß. Aber ab und zu darf man auch mal etwas Verrücktes tun. Und was soll ich sagen? Es hat sich gelohnt. Am Anfang fand ich die Landschaftsaufnahmen nicht so gelungen: ich hatte das Gefühl, alle Bäume und Sträucher wären lediglich auf zwei oder drei Ebenen hintereinander angeordnet, was den 3d-Effekt doch sehr bemüht aussehen läßt.  In Underland war das aber nicht mehr so, und ab da hat die Optik begeistert: alles war sehr liebevoll und märchenhaft gestaltet. Die Cheshire-Katze war unglaublich katzenhaft, und Johnny Depp als Mad Hatter ist einfach göttlich.

Wir haben sehr viel Spaß gehabt und können Euch beide Filme empfehlen.

Und immer daran denken: Schlaf ist halt doch kein echter Ersatz für Kaffee.

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Eigentlich ist das, was Tanja da bei Michael aufgelesen hat, kein Stöckchen. Jedenfalls steht es nicht dran. Ich konnte es aber trotzdem nicht liegenlassen.

Das ZDF hat eine Liste mit den hundert liebsten Büchern seiner Zuschauer erstellt. Da geht natürlich gleich das große Zählen los: wer hat wie viele davon gelesen? Ich komme auf achtzehn, das paßt erstaunlicherweise ganz gut zu den obengenannten.

  1. Der Herr der Ringe, JRR Tolkien
  2. Die Bibel
  3. Die Säulen der Erde, Ken Follett
  4. Das Parfum, Patrick Süskind
  5. Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry
  6. Buddenbrooks, Thomas Mann
  7. Der Medicus, Noah Gordon
  8. Der Alchimist, Paulo Coelho
  9. Harry Potter und der Stein der Weisen, JK Rowling
  10. Die Päpstin, Donna W. Cross
  11. Tintenherz, Cornelia Funke
  12. Feuer und Stein, Diana Gabaldon
  13. Das Geisterhaus, Isabel Allende
  14. Der Vorleser, Bernhard Schlink
  15. Faust. Der Tragödie erster Teil, Johann Wolfgang von Goethe
  16. Der Schatten des Windes, Carlos Ruiz Zafón
  17. Stolz und Vorurteil, Jane Austen
  18. Der Name der Rose, Umberto Eco
  19. Illuminati, Dan Brown
  20. Effi Briest, Theodor Fontane
  21. Harry Potter und der Orden des Phönix, JK Rowling
  22. Der Zauberberg, Thomas Mann
  23. Vom Winde verweht, Margaret Mitchell
  24. Siddharta, Hermann Hesse
  25. Die Entdeckung des Himmels, Harry Mulisch
  26. Die unendliche Geschichte, Michael Ende
  27. Das verborgene Wort, Ulla Hahn
  28. Die Asche meiner Mutter, Frank McCourt
  29. Narziss und Goldmund, Hermann Hesse
  30. Die Nebel von Avalon, Marion Zimmer Bradley
  31. Deutschstunde, Siegfried Lenz
  32. Die Glut, Sándor Márai
  33. Homo faber, Max Frisch
  34. Die Entdeckung der Langsamkeit, Sten Nadolny
  35. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Milan Kundera
  36. Hundert Jahre Einsamkeit, Gabriel Garcia Márquez
  37. Owen Meany, John Irving
  38. Sofies Welt, Jostein Gaarder
  39. Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams
  40. Die Wand, Marlen Haushofer
  41. Gottes Werk und Teufels Beitrag, John Irving
  42. Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Gabriel Garcia Márquez
  43. Der Stechlin, Theodor Fontane
  44. Der Steppenwolf, Hermann Hesse
  45. Wer die Nachtigall stört, Harper Lee
  46. Joseph und seine Brüder, Thomas Mann
  47. Der Laden, Erwin Strittmatter
  48. Die Blechtrommel, Günter Grass
  49. Im Westen nichts Neues, Erich Maria Remarque
  50. Der Schwarm, Frank Schätzing
  51. Wie ein einziger Tag, Nicholas Sparks
  52. Harry Potter und der Gefangene von Askaban, JK Rowling
  53. Momo, Michael Ende
  54. Jahrestage, Uwe Johnson
  55. Traumfänger, Marlo Morgan
  56. Der Fänger im Roggen, Jerome David Salinger
  57. Sakrileg, Dan Brown
  58. Krabat, Otfried Preußler
  59. Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgren
  60. Wüstenblume, Waris Dirie
  61. Geh, wohin dein Herz dich trägt, Susanna Tamaro
  62. Hannas Töchter, Marianne Fredriksson
  63. Mittsommermord, Henning Mankell
  64. Die Rückkehr des Tanzlehrers, Henning Mankell
  65. Das Hotel New Hampshire, John Irving
  66. Krieg und Frieden, Leo N. Tolstoi
  67. Das Glasperlenspiel, Hermann Hesse
  68. Die Muschelsucher, Rosamunde Pilcher
  69. Harry Potter und der Feuerkelch, JK Rowling
  70. Tagebuch, Anne Frank
  71. Salz auf unserer Haut, Benoite Groult
  72. Jauche und Levkojen , Christine Brückner
  73. Die Korrekturen, Jonathan Franzen
  74. Die weiße Massai, Corinne Hofmann
  75. Was ich liebte, Siri Hustvedt
  76. Die dreizehn Leben des Käpt’n Blaubär, Walter Moers
  77. Das Lächeln der Fortuna, Rebecca Gablé
  78. Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, Eric-Emmanuel Schmitt
  79. Winnetou, Karl May
  80. Désirée, Annemarie Selinko
  81. Nirgendwo in Afrika, Stefanie Zweig
  82. Garp und wie er die Welt sah, John Irving
  83. Die Sturmhöhe, Emily Brontë
  84. P.S. Ich liebe Dich, Cecilia Ahern
  85. 1984, George Orwell
  86. Mondscheintarif, Ildiko von Kürthy
  87. Paula, Isabel Allende
  88. Solange du da bist, Marc Levy
  89. Es muss nicht immer Kaviar sein, Johanns Mario Simmel
  90. Veronika beschließt zu sterben, Paulo Coelho
  91. Der Chronist der Winde, Henning Mankell
  92. Der Meister und Margarita, Michail Bulgakow
  93. Schachnovelle, Stefan Zweig
  94. Tadellöser & Wolff, Walter Kempowski
  95. Anna Karenina, Leo N. Tolstoi
  96. Schuld und Sühne, Fjodor Dostojewski
  97. Der Graf von Monte Christo, Alexandre Dumas
  98. Der Puppenspieler, Tanja Kinkel
  99. Jane Eyre, Charlotte Brontë
  100. Rote Sonne, schwarzes Land, Barbara Wood
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Vor ein paar Monaten bin ich über die Fernsehserie Herr und Meister gestolpert: in dreiundzwanzig Folgen erzählen Hugh Laurie und Stephen Fry allerlei lustige Geschichten über den Dandy Wooster und seinen Diener Jeeves. Die Serie basiert auf einer Reihe Bücher, die P.G. Wodehouse zwischen 1919 und 1974 (!) geschrieben hat.
Der Herr, das ist Bertram Wooster: er (oder zumindest seine Familie, in der Regel repräsentiert durch zwei Tanten) ist reich genug, um niemals einem Broterwerb nachgehen zu müssen. Er ist auch faul genug, um keinem besonderen Steckenpferd zu frönen, kein Ehrenamt zu bekleiden, oder sonstwie seine Zeit zu verbringen. Kurz: er läßt den Tag einfach an sich vorüberziehen, wenn er nicht gerade einer familiären Verpflichtung nachkommt oder einem seiner Freunde aus der Klemme hilft.
Der Meister, das ist Jeeves: Woosters Diener ist hochgebildet, weiß alles, kann alles, und ist nicht aus der Ruhe zu bringen.

‘Is Lord Pershore in, Jeeves?’
‘No, sir.’
‘Do you expect him back to dinner?’
‘No, sir.’
‘Where is he?’
‘In prison, sir.’
‘In prison!’
‘Yes, sir.’
‘You don't mean -- in prison?’
‘Yes, sir.’

Wooster mag im Gegensatz dazu etwas simpel erscheinen, aber das stimmt nicht wirklich: eigentlich kann er es sich bloß leisten, nicht nachzudenken -- dumm ist er keineswegs. Allerdings: wenn es darum geht, sich, seine Freunde oder Verwandten aus einer mißlichen Lage zu befreien -- das wiederkehrende Motiv der Geschichten -- dann verläßt Bertie sich besser auf Jeeves' Geistesblitze als auf seine eigenen Ideen. Sei es eine ungeliebte Verlobung, die es zu lösen gilt (natürlich ohne daß der betreffende Herr diesen Schritt selbst unternimmt), zerbrochene Bande, die wiederhergestellt werden wollen, oder das Abwerben von Hauspersonal: Jeeves hat immer die passenden Kniffe parat.

‘Mr Bickersteth called to see you this evening, sir, while you were out.’
‘Oh?’ I said.
‘Twice, sir. He appeared a trifle agitated.’
‘What, pipped?’
‘He gave that impression, sir.’

Die Spannung beziehen die Geschichten dabei weniger aus der Handlung, sondern vielmehr aus den Gegensätzen der beiden Hauptakteure, die doch so gut zueinander passen: beide sind sehr britisch, in der Oberschicht zu Hause; doch während Jeeves ruhig, stets korrekt und mit distinguierter Sprache auftritt, ist Wooster begeisterungsfähig, fahrig und schnodderig: er pflegt eine sehr einfallsreiche, saloppe Jugendsprache, die Verwandtschaft und Gäste regelmäßig empört (wenn sie ihn denn verstehen), der man seine gesellschaftliche Stellung aber durchaus anhört. Das versteht der Autor so gut und humorvoll umzusetzen, daß mich schon die Sprache allein begeistert. Ich muß gestehen, daß die Handlung dabei für mich oft im Hintergrund bleibt, obwohl ich die Streifzüge durch die höhere Gesellschaft durchaus nicht uninteressant finde.

Carry On, Jeeves, das ich gerade beendet habe, ist für mich -- sieht man von der Fernsehserie einmal ab -- erst die zweite Begegnung mit Jeeves und Wooster, aber sicher nicht die letzte. Um Nachschub brauche ich mir zum Glück keine Sorgen zu machen: dafür sorgt schon die Eule, die immer wieder mit einem verzückten Gesichtsausdruck und einem neuen Band vor mir steht.

‘Jeeves,’ I said, ‘this is a time for deeds, not words. Pack -- and that right speedily.’
‘I have packed, sir.’
‘Find out when there is a train for Cambridge.’
‘There is one in forty minutes, sir.’
‘Call a taxi.’
‘A taxi is at the door, sir.’
‘Good!’ I said. Then lead me to it.’

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  • Kalauer des Tages: Unfall auf der Datenautobahn. Zwei Schwervernetzte. [via dasgenie/peterglaser]
  • Und ewig lockt die Sprache -- im Economist gibt es einen schönen Artikel darüber, daß Englisch nicht schwierig ist, und was an Fremdsprachen so fasziniert. [via Finja]
  • Ich bin immer noch auf der Suche nach einem Kinderbuch, das ich vor langer Zeit aus der Stadtbibliothek ausgeliehen und begeistert gelesen habe. Leider weiß ich weder Auto noch Titel, und auch von der Handlung ist mir nur im Kopf geblieben, daß ein paar Kinder Zaubertränke brauen, die sie Gebubbel nennen. Sachdienliche Hinweise nimmt keine Polizeidienststelle entgegen, dürfen aber gerne in die Kommentare geschrieben werden.
  • Die Silvesterplanung steht. Ich freu mich schon drauf 🙂
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Es gibt wohl kein Buch, das ich so häufig gelesen habe wie Tolkiens Herrn der Ringe. Und jedesmal, wenn ich im Vierten Buch angekommen bin, wird das Lesen zäh. Nach den lauschigen Wäldern, weiten Wiesen und irgendwie heimeligen Bergen von Rohan springt die Erzählerperspektive plötzlich zu den Sümpfen und Aschenbergen von Mordor, und die erschweren eben nicht nur unseren Hobbits das Fortkommen; der Leser kämpft genauso, und wenn man den Berichten von Christopher Tolkien glauben darf, dann hat es auch der Autor dort nicht leicht gehabt.

Deshalb habe ich kurzerhand beschlossen, aus der Not eine Tugend zu machen und eine kleine Pause einzulegen; die kommt mir nämlich sehr gelegen, um meine kräftig gewachsene Vokabelliste abzuarbeiten.

Ach ja, und vielleicht schaffe ich es bei der Gelegenheit auch, den Stapel der gerade gelesenen werdenden Bücher[1] etwas zu verkleinern. Von den ungelesenen, die gerade zu Weihnachten stark zuzunehmen pflegen, will ich lieber schweigen. So viele Bücher, so wenig Zeit.

[1]Der deutschen Sprache fehlt eindeutig ein Partizip Präsens Passiv. Man könnte dazu etwa die Merkmale des P. Präsens Aktiv und des P. Perfekt Passiv in geeigneter Weise kombinieren; z. B. so: gelesend -- P. Pr. Pass. bzw. lesen -- P. Perf. Akt. Also: der Stapel der gelesenden Bücher (im Ggs. zu den bereits gelesenen Büchern). Wenn ich ein Buch zur Seite gelegt habe, bin ich demnach auch nicht mehr ein lesender, sondern nur noch ein lesener Blogger.

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Vor ein paar Tagen sind wir mit dem Buch Alles für den Kater von Eva Berberich fertig geworden. In diesem Falle heißt wir sind fertiggeworden, daß wir uns das Buch gegenseitig kapitelweise vorgelesen haben. Nun ja, in letzter Zeit habe ich hauptsächlich gelesen, und die Eule hat zugehört.

Für eine "richtige" Rezension fehlt mir, glaube ich, der Inhalt.
Trotzdem möchte ich ein paar Worte loswerden: das Buch enthält kleine Geschichten über das Zusammenleben mit einem Kater. Wer selbst eine Katze hat (oder hatte), dem wird vieles bekannt vorkommen. Zugegeben, die Katzen, die ich bisher kennengelernt habe, konnten alle nicht sprechen. Aber wenn sie es denn könnten, dann sprächen sie ganz ähnlich wie Mephistopheles (kurz: Stoffele), Hauptfigur des Buches: phantasievoll, sehr von sich eingenommen, aber doch irgendwie anhänglich.
Großen Tiefgang habe ich dort nicht entdeckt, aber die Geschichten sind schön geschrieben. Außerdem eignen sie sich aufgrund ihrer Länge -- fünf bis zehn Seiten pro Kapitel, groß gedruckt -- hervorragend zum Vorlesen.

Miau.

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Mir ist gerade aufgefallen, daß ich hier schon länger nichts mehr geschrieben habe. Da kam es mir zupaß[1], daß ich heute zufälling auf eine schicke Webseite gestoßen bin: bei tvtropes gibt es eine augenscheinlich recht umfangreiche Sammlung von verbreiteten Motiven[2] aus Film, Literatur und Computerspielen. Zu jedem Eintrag gibt es eine Erklärung und eine Reihe von Beispielen. Das beste daran ist aber: die Erklärung ist kräftig mit Links auf andere Einträge versetzt, so daß man sich schmökernd quer durch das ganze Lexikon klicken kann.

Da ist es fast schon als Glück zu bezeichnen, daß ich während der Arbeitszeit über die Seite gestolpert bin. Andernfalls hätte ich wieder viel zu viel Zeit auf der Seite verbracht.

Also: Surfbefehl! (Oder heißt das: Klickbefehl?) Ein guter Einstieg ist zum Beispiel dieser hier.

[1] Das Wort wird im allgemeinen sehr vernachlässigt.

[2] Man könnte auch Meme sagen, obwohl das nicht ganz paßt.

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