Archiv vom Oktober 9th, 2006

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Ich bin eigentlich kein großer Familienmensch, aber von Zeit zu Zeit habe ich trotzdem Lust auf einen Besuch bei der Verwandtschaft. Ein Geburtstag, der auf ein Wochenende fällt, ist eine ideale Gelegenheit dafür. Deshalb habe ich mich Freitag nachmittag in den Zug gesetzt und bin auf's Land gefahren.
Keine größeren Verspätungen, aber es ist doch schon dunkel, als ich am Zielbahnhof ankomme. Grauer Himmel, ein bißchen Regen. Seltsam — alles so klein hier. Gut, es ist schon ein paar Jahre her, aber so lange war ich auch wieder nicht weg.
Man freut sich sehr, mich zu sehen. Abendessen, ein bißchen Smalltalk, dann erstmal schlafen.

Am anderen Tag gibt es viel zu tun, aktuelle Projekte ansehen, ein Rundgang durch den Garten, Geschenke überreichen. Ein bißchen Zeit zum Lesen findet sich auch noch, und abends wird im Kreise der Freunde gefeiert. Das ist nicht weiter aufwendig, man ißt, trinkt und redet. Ich sitze zwischen all den Menschen, die weit mehr als doppelt so alt sind wie ich, und lausche den Erzählungen. Viele davon sind lustig — jedenfalls, wenn man sie aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts oder mehr betrachtet. Zwischen den Begebenheiten fallen immer wieder Namen; Namen, die ich noch nie gehört habe, und mehr, als ich mir jemals merken könnte, und die Runde erinnert mich an irgendetwas.
Schließlich fällt es mir ein:
In dealing with Hobbits it is important to remember who is related to whom, and in what degree.
Irgendwann, irgendwo ist der Zug über eine unsichtbare Grenze gefahren, und ich habe meine eigene kleine Welt verlassen, um hier zu landen. Ich fühle mich, als wäre ich schon seit Wochen im Urlaub, der Alltag ist weit entfernt.

Am Sonntag will noch mehr Verwandtschaft besucht werden, und als ich mir deren — durchaus bescheidene — Häuser ansehe, fühlt sich meine — durchaus geräumige — Mietwohnung plötzlich nicht mehr ganz so erstrebenswert an. Nachmittags ist dann der Geburtstagsfeier zweiter Teil angesagt. Ich bin eigentlich kein großer Familienmensch, aber als dann vier Generationen gemeinsam den Kuchen verspeisen, da keimt doch eine gewisse Sehnsucht in mir auf.
Dann ist die Zeit auch schon wieder um, ich muß mich auf den Weg zum Bahnhof machen. Eine kurze Abschiedsrunde, ich verspreche, bis zum nächsten Besuch nicht mehr so lange zu warten; dann bringt mich der Zug über jene seltsame Grenze hinaus aus dem Zauberland.

Nach dem Umsteigen steht der Schaffner hinter mir und pfeift Guantanamera, worüber ich nicht besonders glücklich bin, weil Carole King in meinem Kopf gerade Tapestry singt. Es ist schon sehr dunkel, und als ich schließlich ankomme und auf den Bus warte, ist es stockfinstere Nacht. Daß es noch nicht einmal neun Uhr ist, weiß nur mein Kopf; der Rest ist immer noch auf Sommer eingestellt.

Jetzt sitze ich hier, höre Carole King und ernähre mich von Joghurt, weil das Brot alle ist und ich keine Lust zum Kochen habe.
Morgen ist Montag.

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