Kürzlich habe ich ein neues Wort kennengelernt: Feindstrafrecht. Das hört sich fies an, ist aber noch viel schlimmer.
Der Grundgedanke ist schnell erläutert: Wer sich im großen und ganzen an die Gesetze hält, dem wird zugestanden eine Person zu sein. Verstößt eine solche Person gegen ein Gesetz, so wird dies durch ein Gerichtsverfahren aufgeklärt und anschließend durch eine Strafe geahndet. Sowohl Verfahren als auch Strafe folgen dem Bürgerstrafrecht.
Im Gegensatz dazu ist derjenige, der die Rechtsordnung bereits im Prinzip ablehnt, ein Feind — eine Unperson eben, für die die üblichen Bürgerrechte nicht gelten. Auf ihn soll das Feindstrafrecht angewandt werden, das prinzipiell keine Schranken mehr kennt und der Gesellschaft alles erlaubt, um gegen den Feind vorzugehen.
In einem drei Jahre alten Aufsatz von Günther Jakobs wird das ganze aus rechtsphilosophischer Sicht beschrieben. Der Text ist leider etwas sperrig zu lesen, aber ganz aufschlußreich. Unter anderem erfährt man auch, daß es im deutschen Strafrecht bereits eine ganze Menge Teile gibt, die eher zum Feind- als zum Bürgerstrafrecht gehören.
Was ist im Feindstrafrecht nun anders als im Bürgerstrafrecht? Grundsätzlich geht es darum, daß dem Staat bei der Verfolgung von Straftätern keine Schranken mehr auferlegt werden: es gibt zum Beispiel kein Recht auf einen Anwalt, nichtmal ein Recht auf einen Prozeß. Jakobs betont, daß das Feindstrafrecht nur für die Gesellschaft, nicht aber für den Feind ein Recht sei.
Wo ist jetzt das Problem? Ich sehe da gleich zwei. Das eine ist eher praktischer Natur, das andere eher grundsätzlich.
Zum ersten übersieht Jakobs in seinem Aufsatz fast völlig, daß die Schuld eines Verdächtigen ja erst im Prozeß überhaupt festgestellt wird — und selbst dann kann es noch Irrtümer geben. Wenn ich also bereits im oder vor dem Prozeß Feindstrafrecht anwenden will, dann muß ich in Kauf nehmen, das nicht nur gegenüber Feinden, sondern auch gegenüber Personen zu tun — eventuell sogar gegenüber vollständig unschuldigen. Dabei verletze ich natürlich deren Rechte, die aus dem Bürgerstrafrecht erwachsen. Das führt zu einem Dilemma: Wer ein besonderes Strafrecht fordert, um Feinde der Gesellschaft wirksamer bekämpfen zu können, darf dieses nach eigener Logik zumindest bis zum Abschluß des Gerichtsverfahrens nicht anwenden, weil er nicht ausschließen kann, statt eines Feindes einen Bürger zu treffen.
Außerdem dienen viele der Bürgerrechte dazu, einen fairen Prozeß zu ermöglichen und Fehler zu vermeiden. Wenn ich einem Verdächtigen also Bürgerrechte verwehre, dann steigt auch das Risiko, einen Fehler zu machen und vielleicht sogar einen Unschuldigen zu verurteilen.
Viel wichtiger ist jedoch das zweite, grundsätzliche Problem:
Auch Verbrecher sind Menschen; selbst solche, die sehr schlimme Verbrechen begehen — Terroristen fallen einem da heutzutage sofort ein. Und Menschen haben ein Anrecht auf gewisse unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte, wie Artikel 1 des Grundgesetzes formuliert.
Das infrage zu stellen, wäre ein Rückfall in die Barbarei.
Roland Hefendehl, Strafrechtler in Freiburg, formuliert es so:
Ein spezielles Straf- oder Eingriffsrecht für bestimmte (...) Personengruppen, bei dem die rechtsstaatlichen Grundsätze nicht mehr oder nur noch in verkürzter Form gelten, würde den gesamten Rechtsstaat erschüttern.
Wer versucht, die Errungenschaften des modernen Rechtsstaats durch die Hintertür abzuschaffen, der spielt mit dem Feuer. Leider scheint das einigen Politikern und auch vielen Normalbürgern nicht bewußt zu sein.
[via Telepolis]
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