AUG
2012
Gerade habe ich Kushiel's Dart von Jaqueline Carey beendet. Hui. Wo soll ich anfangen? Vielleicht beim Offensichtlichen: den Roman (erster Teil einer Trilogie, das ist heutzutage ja die Norm) ist im Grunde High Fantasy. Es gibt zwar keine Elfen und Zauberer, aber dafür jede Menge tapferer Ritter, die mit einem Lied auf den Lippen in den sicheren Tod reiten. Ja, und ein bißchen Magie ist gelegentlich auch zu finden. Andererseits paßt auch die Bezeichnung Alternative History. Denn die Geschichte spielt irgendwann im Mittelalter, so genau kann ich das nicht festlegen, aber es gibt zwei wesentliche Punkte, die mit unserer Welt nicht übereinstimmen: da ist zunächst der Master of the Straits, eine gottähnliche Gestalt auf einer Insel im Ärmelkanal. Er kann diese wegen eines Fluchs nicht verlassen und beschäftigt sich mit Schiffe versenken; genauer gesagt, er unterbindet fast den ganzen Verkehr zwischen dem, was sonst England wäre (und hier Alba, also Schottland heißt) und mangels Normannen noch von Kelten bewohnt wird, und dem Kontinent. Außerdem ist die Entstehung des Christentums etwas anders gelaufen, und die Anhänger Eluas (mit der Verkündung Love as thou wilt) haben sich in Terre d'Ange niedergelassen, das ungefähr dem heutigen Frankreich entspricht. auf mich wirkt das Land wie eine seltsame Mischung aus England und Frankreich, aber das mag auch an meinem mangelndes Wissen über die französische Monarchie liegen.
Den Aposteln, von denen sich jeder einem anderen Aspekt fleischlicher Lust gewidmet hat, sind Einzelne Häuser des Night Court gewidmet -- eine Art religiös untermauerter Edelbordelle.
Unsere Heldin, Phèdre, hat ihre Kindheit auch in einem dieser Häuser verbracht1, wechselt dann jedoch in einen privaten Haushalt. Ihr neuer Herr2 läßt ihr eine umfassende Ausbildung angedeihen, damit sie für ihn bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen heimlich Informationen zu einem zunächst unbekannten Zweck beschafft.
Damit stürzt die Autorin uns in ein Verwirrspiel aus Politik, höfischen Intrigen, Verrat und letztlich sogar Krieg, daß es ziemlich schwierig wird, einigermaßen den Durchblick zu behalten. Ob man das positiv oder negativ bewertet, bleibt jedem selbst überlassen. Pluspunkte gibt es jedenfalls für die sehr glaubwürdige Darstellung der Feudalgesellschaft in Terre d'Ange und die schöne Idee des sexuell orientierten Glaubens. Mich persönlich hat auch das seltsame Parallel-Europa mit den interessanten Städte-Namen fasziniert, obwohl das wahrscheinlich keine besondere schriftstellerische Leistung darstellt. Störend fand ich lediglich die Stellen, an denen es doch sehr pathetisch wurde -- bei High Fantasy vielleicht unvermeidlich. Insgesamt gebe ich vier von fünf Sternen.
- dabei läuft alles streng gesittet ab, minderjährige Adepten werden höchstens als Bedienung bei Banketten eingesetzt [↩]
- im feudalen Sinne [↩]