Anfang dieser Woche erschien auf Slashdot die Nachricht, daß ein dreidimensionales Äquivalent zur Mandelbrot-Menge, auch bekannt als Apfelmännchen, gefunden wurde. Ein Blick auf die Seite von Daniel White offenbarte nicht nur eine Erklärung, sondern auch atemberaubende Bilder -- und in mir erwachte sogleich der Wunsch, mich selbst daran zu versuchen.

Gebrochen

Die Klasse der Objekte, zu der das Apfelmännchen genauso wie der neue Mandelbulb gehören, nennt man Fraktale. Was bedeutet das eigentlich? Nun, in der Mathematik versteht man unter einem Fraktal ein Gebilde, dessen Dimension keine ganze Zahl ist. Es ist zunächst schwer vorstellbar, was das bedeuten soll: entweder habe ich etwas eindimensionales, etwa eine Linie; oder ein Blatt Papier, das (wenn wir seine Dicke einmal ignorieren) zweidimensional ist; oder aber zum Beispiel einen Würfel. Der hat drei Dimensionen -- aber zweieinhalb?

Wenn wir uns die Dimension eines Vektorraumes ansehen, ist das in der Tat nicht möglich: vereinfacht gesagt, zählt man schlicht die (voneinander unabhängigen) Richtungen, die es in einem Objekt gibt, und nennt diese die Dimension: wenn es nur Länge gibt (zum Beispiel bei einem Bindfaden), dann ist die Dimension Eins. Das Wohnzimmer hat Länge, Breite und Höhe, also die Dimension Drei.

Ich kann aber auch anders vorgehen: dazu nehme ich mir einen Ball, der groß genug ist, um den Bindfaden darunter zu verstecken. Ist der Faden z.B. einen Meter lang, dann brauche ich einen Ball, der einen Meter Durchmesser hat. Nun probiere ich es mit einem Ball von einem halben Meter -- und stelle fest, daß ich zwei davon brauche, um den Faden abzudecken. Hat mein Ball nur 10 cm Durchmesser (ein Zehntel des ursprünglichen), dann brauche ich auch zehn Bälle, und so weiter.


In meinem Wohnzimmer geht das nicht: während ich das komplette Zimmer in einen Ball mit fünf Metern Durchmesser stecken könnte, benötige ich wesentlich mehr als fünf Bälle, wenn diese nur einen Meter Durchmesser haben, nämlich mehr als hundert. Die Dimension eines Objekts sagt mir also, wie schnell die Zahl der nötigen Bälle wächst, wenn ich die Bälle selbst kleiner mache. Bei einem eindimensionalen Gegenstand reichen 2 Bälle der Größe 1/2, bei einem dreidimensionalen brauche ich 8, das sind 23.

Jetzt drehen wir den Spieß um und erheben diese Ballzählerei zur Definition: das Schachbrett ist deshalb zweidimensional, weil ich 64=82 Felder der Größe 1/8 brauche, um es abzudecken.

Radieren

Wie muß nun ein Objekt aussehen, damit ich bei dieser Rechnung krumme Zahlen erhalte? Dazu wollen wir ein kleines Experiment machen. Dazu benötigen wir nur ein Blatt Papier, einen Bleistift, ein Radiergummi, und vielleicht noch ein Lineal. Zunächst zeichnen wir eine gerade Linie auf das Blatt, etwa so:

eins

Nun nehmen wir das Radiergummi und entfernen das mittlere Drittel der Linie:

zwei

Von den beiden kürzeren Linien, die nun übrig bleiben, entfernen wir jeweils wieder das mittlere Drittel:

drei

Und so weiter -- im Prinzip geht das beliebig lange, wenn nur unser Radiergummi fein genug ist:

vier

Was passiert, wenn wir dieses Gebilde mit Bällen zudecken wollen? Nun, fangen wir mit einem Ball an, der gerade groß genug ist, um alle Teilstücke der Linie zu überdecken. Wenn wir diesen Ball dritteln, dann brauchen wir aber mitnichten drei der kleineren Bälle -- es genügen zweie, einer für die linke Seite, einer für die rechte. In der Mitte haben wir ja alles wegradiert. Wenn wir also einen Ball der Größe 1/3 wählen, brauchen wir 2=30.63 Exemplare davon. Deshalb können wir sagen, daß unser Kunstwerk die Dimension 0.63 hat. Genauer betrachtet, ist das auch gar nicht so abwegig: wir haben da eine Unmenge von Punkten, die sehr dicht beieinander liegen. Einzelne Punkte hätten die Dimension 0; und wenn sie unendlich dicht beieinander lägen, hätten wir eine Linie mit der Dimension 1. Daß unser Ergebnis irgendwo dazwischen liegt, ist nicht so verwunderlich.

Ganz ähnlich verhält es sich auch beim Apfelmännchen: egal, wie stark ich Ausschnitte davon vergrößere, es gibt immer feinere Strukturen zu entdecken. Das trifft im Prinzip auch auf die oben abgebildete Mandelbulb zu; allerdings ist die Abbildung mit einer sehr vereinfachten Formel erstellt worden, weshalb nur die gröbsten Knubbel zu erkennen sind -- ganz so, als ob ich beim Zerteilen der Linie nach zweimaligem Radieren aufhöre.

Demnächst in diesem Theater

In den kommenden Tagen möchte ich noch kurz anreißen, wie man das Apfelmännchen und die Mandelbulb berechnet; außerdem gibt es dann hoffentlich mehr Bilder und vielleicht sogar Filme zu sehen.

[Edit: Typos]

22:58 3 Kommentareenglish

von kirjoittaessani

3 Responses to “Von Mandelbrot und schaumigen Äpfeln”

  1. kirjoittaessani » Blog Archive » Mandelflug Says:

    [...] Neulich hatte ich mehr zu Mandelbulb, einem dreidimensionalen Fraktal aus der Verwandtschaft des Apfelmännchens versprochen. Jetzt ist — nach mehreren Tagen Rechenzeit auf einer Zweiprozessormaschine — endlich der erste Film fertig. [...]

  2. Knut Says:

    Glückwunsch für die sehr anschauliche Erklärung 🙂

  3. kirjoittaessani Says:

    Oh danke 🙂