Kategorie ‘Geschichten’

Der Winter im allgemeinen und die Urlaubszeit zum Jahreswechsel im besonderen ist eine gute Zeit zum Lesen. Vor ein paar Tagen bin ich mit Amberville fertiggeworden, dem Erstlingswerk eines schwedischen Autoren, der unter dem Pseudonym Tim Davys schreibt.

Amberville ist ein Viertel in einer Stadt, die von Stofftieren bewohnt wird. Vieles ist dort ganz ähnlich wie bei uns Menschen, aber manches ist auch anders. Zum Beispiel bekommen Paare, die sich Nachwuchs wünschen, diesen von den Deliverymen ins Haus gebracht -- direkt aus der Stofftierfabrik. Dafür gibt es eine Liste, die Cub List, die im Umweltministerium geführt wird.

Genausowenig, wie Stofftiere geboren werden, sterben sie. Wenn sie alt sind, werden sie eines Nachts von den gefürchteten Chauffeurs abgeholt, und was dann mit ihnen geschieht, weiß niemand. Gerüchte besagen, daß es analog zur Cub List eine Death List gibt, die die Chauffeurs abarbeiten. Wer diese Liste erstellt, und ob sie überhaupt existiert, ist ungewiss.

Wenn aber ein Gangsterboss (eine Taube) nicht nur von der Existenz der Liste überzeugt ist, sondern auch davon, daß sein Name daraufsteht, und wenn er dann mit zweien seiner Gorillas (wirklich Gorillas) bei Eric Bear auftaucht und ihn erpreßt, um wieder von der Todesliste zu verschwinden; dann hat Eric ein Problem. Daß er sich ausgerechnet ein paar Typen aus seiner halbseidenen Vergangenheit sucht, um die unmögliche Aufgabe zu erledigen, ist auch nicht unbedingt hilfreich.

Zwischen den siebenundzwanzig numerierten Kapiteln, die die Geschichte der Gruppe um Eric Bear erzählen, finden sich etliche Extrakapitel. Aus diesen lernt der Leser im Laufe des Buches einige Geheimnisse kennen, die für die Auflösung des Rätsels nicht unwichtig sind.

Die Atmosphäre von Amberville ist durchweg recht düster, was im Zusammenhang mit den Stofftieren ungewohnt sein mag, aber gut zu dem Thema “Todesliste” paßt. Eine Kleinigkeit hat mich dann doch gestört, deretwegen ich auch nur vier von fünf Sternen vergeben mag: am Ende habe ich mich gefragt: Und? Was sagt uns das jetzt? Die Auflösung ist durchaus befriedigend, aber mir fehlen die Konsequenzen daraus -- wenn der Damm bricht, erwarte ich eben eine Flutwelle und nicht nur einen leichten Regenschauer.

Trotzdem: Davys' Debüt ist durchweg spannend geschrieben, das Thema ist interessant, und die Charakterisierung der Stofftiere hat mir sehr gefallen -- auf jeden Fall ein lesenswertes Buch.

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Wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, kann ich Robin Hobbs Bücher, einmal angefangen, kaum weglegen. Die gut achthundert Seiten von Forest Mage, dem zweiten Band der Soldier Son-Trilogie, habe ich im Urlaub (genauer gesagt: in Bahn und Flugzeug) verschlungen.

Ich gehe davon aus, daß die Handlung des ersten Teils (Shaman's Crossing) bekannt ist. Spoiler gibt es hier zwar keine, Erklärungen zum Hintergrund aber auch nicht. Wer mag, kann ja in die alte Rezension schauen.

Hobbs Umgang mit ihren Charakteren erinnert mich immer ein bißchen an ein Kind mit einem Stock vor dem Ameisenbau: sie piesackt sie pausenlos, um zu sehen, wie sie reagieren. Dabei ist sie so gnadenlos, daß mich das etwas kitschige Ende von Fool's Fate gar nicht gestört hat -- ich habe den Protagonisten einfach gegönnt, Glück im Leben zu finden.

I set my teeth and forced my lips into a rubbery smile, and when I wiped a tear from my eye, I told myself that everyone who observed it would think it was a tear of joy at my brother's good fortune.

Nevare ist da keine Ausnahme: nachdem das Schicksal schon im ersten Band einige Prüfungen für ihn bereitgehalten hatte, geht es in Forest Mage erst richtig los. Mehr und mehr offenbart sich in unserem Helden eine innere Zerrissenheit, die für den Leser ganz konkret wird durch zwei Welten, die ihn mit allen Mitteln für sich gewinnen wollen.

I shook my head. 'I can be true to both. You will see.' It sounded so simple, there in the moonlit night.

Nevare selbst mag sich aber nicht so recht entscheiden -- eigentlich hätte er am liebsten seine Kindheit zurück, als das Leben noch einfach und geradlinig war. Damit macht er es sich natürlich nicht einfacher, sondern läßt die Mächte, deren Spielball er ist, nur noch stärker an ihm zerren. Letztlich trifft er gar keine Entscheidung, sondern zaudert, bis sie für ihn getroffen wird. Obwohl recht schnell klar wird, wie diese Entscheidung ausfallen wird, bleibt das Buch bis zum letzten Kapitel spannend.

Dann bleibt mir nur noch zu sagen, daß ich mich schon sehr auf den dritten Band freue, obwohl Forest Mage nicht mit einem Cliffhanger, sondern an ein einem sehr natürlichen Punkt endet.

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Daß Lycidas von Christoph Marzi in mein Bücherregal Einzug gehalten hat, ist fast schon Zufall gewesen: ich hatte zu Weihnachten ein Buch doppelt bekommen, aber kein weiteres Werk auf der Wunschliste. Also habe ich auf die Schnelle etwas herausgesucht, das einigermaßen interessant aussah -- und gleich einen Volltreffer gelandet.

Lycidas ist zunächst einmal Fantasy, oder, wie man früher sagte: Phantastische Literatur. Die Handlung spielt in einem sehr glaubwürdig dargestellten London, irgendwie wirkt das Buch aber auch sehr deutsch auf mich -- und das durchaus im besten Sinne. Auch wenn ich es nicht genau definieren kann, finde ich doch, daß Ende oder Krüss anders schreiben als etwa Tolkien oder Hobb; und auf eine ganz ähnliche Art unterscheidet sich auch Marzi von seinen angelsächsischen Kollegen.
Unterhalb Londons befindet sich die uralte Metropole, eine Stadt unter der Stadt. Sie ist genauso düster und dreckig, wie man es von einem Tunnelsystem erwartet, das über die dunkleren Ecken der U-Bahn betreten wird. Dort unten -- und manchmal, unerkannt, auch oberirdisch -- ist einiges lebendig, was Historie und christliche Mythologie zu bieten haben, aber immer auf eine ganz eigene Art.

"Rahel offenbarte dem Elfen, dass er hier arbeitet."
Mussten Engel arbeiten?
...
"Er arbeitet als Kundenberater in der CD-Abteilung."

Als erstes ist mir aufgefallen, daß Lycidas für ein Jugendbuch erstaunlich düster ist -- der Beginn der Geschichte in einem Waisenhaus der übleren Sorte ist nur der Auftakt. Diese Düsternis verbindet sich mit den lebendiggewordenen Mythen zu einer ganz eigenen Atmosphäre.

Als zweites fiel mir auf, daß sich fast alle Akteure siezen -- auch, wenn Erwachsene sich mit Zwölfjährigen unterhalten. Zusammen mit einer leicht altertümlich anmutenden Sprache, die aber die üblichen Fantasy-Klischees vermeidet, baut diese Eigenart die Atmosphäre ganz wunderbar aus.

Als dritte Eigenart von Lycidas möchte ich bemerken, daß der allwissende Erzähler gleichzeitig auch als handelnde Person auftritt. Diese ungewöhnliche Technik macht die Geschichte für mich sehr viel wirklicher, ganz so, als ob hier jemand ein Erlebnis erzählt und dabei die Geschehnisse, bei denen er nicht selbst anwesend war, aus anderen Quellen ergänzt.

Ich kann das Buch jedem, der Phantastisches abseits des Üblichen sucht und dabei einer düsteren Grundstimmung nicht abgeneigt ist, nur empfehlen.

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Es begab sich aber zu der Zeit, daß es der zivilisierten Welt ein großes Mysterium war, wie Polynesien besiedelt worden sei. Da kam aus einem Lande im Norden ein Mann daher und hielt die Gelehrten zum Narren: von Amerika aus seien die Menschen mit Flößen gekommen. Großes Gelächter erhob sich aus den Reihen der Wissenden: eine Floßfahrt auf dem Flusse sei wohl die eine Sache, auf dem offenen Meere dagegen sehe es ganz anders aus. Überdies sei Balsaholz zwar an Lande von überaus großer Leichtigkeit, sauge sich jedoch innert Tagen voll und gehe unter, so man zu Wasser bringe; weshalb die Flößer Ägyptens ihre Fahrzeuge an Land trockneten. Da sprach der Nordmann: Ihr glaubt mir nicht? Wohlan, so will ich selbst hinüberfahren.

Der Mann hieß Thor Heyerdahl, und in seinem Buch Kon-Tiki beschreibt er die erstaunliche Geschichte seiner Floßfahrt von Peru ins sechstausend Kilometer entfernte Tahiti. Heyerdahl und seine Mitstreiter gehen an dieses gewaltige Abenteuer mit einer interessanten Mischung aus Forscherdrang und Naivität heran. Letztere braucht man wohl auch, um sich mit einem Floß, von dem jedermann sagt, es werde nach ein paar Tagen untergehen, auf eine dreimonatige Reise über den Stillen Ozean zu begeben.

Solche kleine Krabben nun waren die Polizeipatrouillen Neptuns. Sie waren immer geschwind zur Stelle, wenn etwas Eßbares zu haben war. Als der Koch eines Tages einen fliegenden Fisch zwischen den Stöcken übersah, war dieser am nächsten Tag von acht bis zehn kleinen Krabben bedeckt, die ihn mit ihren Scheren in sich hineingabelten. Meistens waren sie ängstlich, verschwanden und versteckten sich, wenn wir kamen, aber achtern in einem kleinen Loch am Steuerklotz wohnte eine, die Johannes hieß und ganz zahm war.

Damit nicht genug: sie fahren auch noch abseits jeglicher Schiffahrtsrouten und sind deshalb wirklich auf sich allein gestellt.

Heyerdahls erfrischender Stil bringt dem Leser die Atmosphäre an Bord des Floßes sehr nahe. Dabei kommen einem die hundertein Tage der Überfahrt nie langatmig vor -- dafür sorgen schon die häufigen Einschübe, etwa zu Rapa Nui (der Osterinsel) und ihren steinernen Skulpturen.

Fast vergisst man die Gefahr und wünscht sich selbst an Bord...

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Zu Totleigh Towers hat Betram Wooster ein ganz eigenes Verhältnis: der Hausherr ist nicht nur ein Richter im Ruhestand, der ihm schon einmal eine Geldstrafe aufgebrummt hat; das Anwesen ist auch der Schauplatz der unrühmlichen Cow-Creamer-Episode, in der Bertie auf Veranlassung Tante Dahlias ein silbernes Milchkännchen in Form einer Kuh stehlen sollte.

'You won't come to Totleigh?'
'Not within fifty miles of the sewage dump.'

Als ihn ein Schulfreund, "Stinker" Pinker bittet, für einige Tage dorthin zu reisen, lehnt er zunächst rundheraus ab. Erst als die Verlobung der Tochter des Hauses mit Gussie Fink-Nottle brüchig wird, ändert er seine Meinung. Daß ihm dabei weniger das Glück der Beiden, sondern eher sein eigenes Junggesellendasein am Herzen liegt, dürfte niemanden wirklich überraschen.

Als erst alle Akteure versammelt sind, geht es in gewohnter Weise drunter und drüber: ein durchgedrehter Terrier, eine Bernsteinstatue auf Wanderschaft, ein sehr britischer Abenteurer und natürlich Roderick Spode sorgen für so viele Probleme, daß Jeeves gleich mehrfach helfend eingreifen muß.

On his own showing, he had for years been horning in uninvited on the aborigenes of Brazil, the Congo and elsewhere, and not one of them, apparently, had had the enterprise to get after him with a spear or to say it with poisoned darts from the family blowpipe. And these were the fellows who called themselves savages. Savages, forsooth!

Am Ende ist natürlich alles wieder in Ordnung. Das ist kein klassisches Happy End nach dem Moto Friede, Freude, Eierkuchen; aber die akuten Krisen sind beigelegt, und jeder geht seines Weges. Die zweihundert Seiten dahin sprühen in bekannter Wodehouse-Manier vor Sprachwitz, so daß ich das Buch wieder nur wärmstens empfehlen kann.

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England in den fünfziger Jahren: die alten Landsitze sehen zwar romantisch aus, aber ihre verarmten Eigentümer können sich weder Personal noch Reparaturarbeiten leisten. Schlimmer noch, manch einer muß sogar arbeiten gehen, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. Im Familiensitz von Lord Rowcester tropft es zwar auch gehörig, aber immerhin gibt es noch eine Köchin und einen Butler. Seine Lordschaft betätigt sich unter Zuhilfenahme eines falschen Bartes gelegentlich als Buchmacher. Wenn allerdings das falsche Pferd gewinnt, birgt dieses Geschäft doch gewisse Risiken. Wie gut, wenn eine amerikanische Millionärin mit spiritistischen Interessen Gefallen an dem alten Gemäuer zeigt.

Zugegeben, Rowcesters Schwager, Sir Roderick, hat ein unnachahmliches Talent, zur falschen Zeit das Falsche zu sagen, und könnte bei den Verkaufsverhandlungen hinderlich sein. Doch der Butler ist niemand Geringeres als Jeeves, und der hat bekanntlich stets eine Idee parat.

Bertie Wooster taucht in dieser Geschichte übrigens nicht auf, er besucht eine Schule, um das Leben ohne Personal zu erlernen. Seine Abwesenheit tut das Ihre, um Ring for Jeeves ein ganz eigenes Lesegefühl zu geben.

Ring for Jeeves ist in meinen Augen einer der schwächeren Bände aus der Reihe. Zum einen gleitet Wodehouse' üblicher Wortwitz hier zu sehr in Richtung Slapstick ab, zum anderen fehlt mir der gediegene aristokratische Hintergrund der Geschichten. Zwar ist es durchaus ein Genuß anzusehen, wie der Autor sich über eben diesen Adel lustig macht, aber zu Jeeves gehört eben eine gediegenere Atmosphäre.

Ich habe das Buch trotzdem sehr genossen, im Kontrast zu den älteren Bände möchte ich aber einen (Bewertungs-)Stern abziehen.

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Eine Rezension zu einem neuen Jeeves-Band muß vor allem betonen, daß sich soviel gegen über den anderen Bänden gar nicht geändert hat. Geblieben sind der Sprachwitz, der leicht trottelige, aber unglaublich liebenswerte Bertie, sein übermenschlicher und doch so bescheidener Diener Jeeves. Außerdem natürlich das Leben in der britischen Oberschicht der (inzwischen) dreißiger Jahre -- eine Gesellschaft, in der niemand arbeiten muß, in der es keine Sachzwänge gibt, sondern höchstens gesellschaftliche Verpflichtungen.

Come at once. Travers.

Ganz besonders gilt das natürlich für die lieben Verwandten, denn die Familie läßt man unter keinen Umständen im Stich. Das heißt natürlich nicht, daß man sich nicht ein bißchen zieren kann oder die eine oder andere Aufgabe etwas erleichtern.

Perplexed. Explain. Bertie.

Als Bertrams Lieblingstante Dahlia ihn bittet, im örtlichen Gymnasium Schülerpreise zu verleihen, schiebt er seinen Freund Gussie vor. Der ist zwar ein Experte, was Molche anbetrifft, im menschlichen Umgang aber weniger gewandt -- ein Geek, würde man heute sagen. Als Berties Cousine ihre Verlobung löst, fährt er dann doch zu seiner Tante, um die Dinge ins Lot zu bringen.

What on earth is there to be perplexed about, ass? Come at once. Travers.

Einmal dort angekommen, steigt die Zahl der Konflikte, bei denen er seine Hilfe anbietet, ins Unermessliche. Leider tragen Berties Ideen nicht gerade dazu bei, die Probleme zu lösen, sondern erzeugen im Gegenteil nur neue Schwierigkeiten.

How do you mean come at once? Regards. Bertie.

Letztlich muß Jeeves dann die Dinge wieder richten, und er tut das in seiner üblichen Art: mit beinahe einem einzigen Kunstgriff lösen sich alle Animositäten in Wohlgefallen auf.

I mean come at once, you maddening half-wit. What did you think I meant? Come at once or expect an aunt's curse first post tomorrow. Love. Travers.

Neben dem subtilen Humor, der sich durch die Geschichten zieht, gefällt mir vor allem die Figur des Bertie Wooster. Seine Versuche, Freunden zu helfen, gehen zwar meist schief und bedürfen Jeeves' helfender Hand; aber er stellt sich nie völlig dämlich an. Und auch wenn oft alle auf ihn schimpfen, fabriziert er das Chaos in seiner Umgebung doch selten wirklich allein. Bei alledem genießt er das Leben und läßt sich den Spaß nicht nehmen.

When you say 'Come' do you mean 'Come to Brinkley Court'? And when you say 'At once' do you mean 'At once'? Fogged. At a loss. All the best. Bertie.

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Robin Hobb hat's einfach drauf. Ich habe keine Ahnung, wie sie es macht, aber bei jedem ihrer Bücher ging mir das Schicksal der Protagonisten innerhalb kürzester Zeit so zu Herzen, daß ich mit dem Lesen nicht mehr aufhören konnte. Shaman's Crossing ist da keine Ausnahme.

Ich finde Hobbs Werke unglaublich spannend, meine damit aber nicht die Spannung eines Krimis: nicht der Fortgang der Handlung steht im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit, sondern das Seelenleben der Charaktere und die Art, in der sie mit ihrem Schicksal umgehen.

Shaman's Crossing, der erste Teil der Soldier Son-Trilogie, spielt in einer fiktiven feudalistischen Gesellschaft irgendwo zwischen Spätmittelalter und Barock, mit einem leichten Wild-West-Einschlag. Es ist eine chauvinistische und streng religiöse Welt, in der Frauen möglichst vorteilhaft verheiratet werden und nicht viel zu sagen haben, während die Männer den Beruf ihres Vaters ergreifen. Lediglich für Söhne adliger Väter hat der sehr christlich anmutende good god eine andere Laufbahn vorgesehen: der Erstgeborene erbt Besitz und Titel, der zweite wird Soldat, der dritte Priester und so weiter.

Das Land befindet sich mitten in einem Umbruch. Nachdem die nomadischen Bewohner der angrenzenden Steppen in einem langen Krieg besiegt wurden -- man mußte die Wilden zähmen und ihnen die Vorteile der Zivilisation beibringen -- werden Offiziere, die sich besonders ausgezeichnet haben, vom König in den Adelsstand erhoben. Sie sollen die neu eroberten Gebiete besiedeln, während die Expansion des Reiches weitergeht.

Nevare ist der zweitgeborene Sohn eines solchen New Noble, und nach seiner Ausbildung auf dem heimischen Gut wird er mit achtzehn in die Militärakademie in der Hauptstadt aufgenommen. Er stellt allmählich fest, daß hier nicht nur strenge Disziplin herrscht, sondern die Kadetten auch Spielbälle in politischen Ränkespielen sind, von deren Existenz er nichts geahnt hat.

Unterdessen gestalten sich die weiteren Eroberungen schwierig: die Speck oder Gefleckten Menschen wollen so gar nicht dem Bild des edlen Wilden entsprechen, der mit unterlegenen Waffen zum offenen Kampf antritt, und den es zu zähmen gilt. Sie sind eher Guerilla-Kämpfen, man weiß wenig von ihnen, achtet sie nicht, und weiß nicht so recht, wie man mit ihnen fertigwerden soll. Außerdem gibt es da noch eine Seuche, die in in der Nähe der Gefleckten halbe Garnisonen ausrottet, und von der man munkelt, sie werde beim Geschlechtsverkehr übertragen...

An dieser Stelle ist eigentlich klar, daß die Speck in den folgenden Bänden eine wichtige Rolle spielen werden, und es sollte mich nicht wundern, wenn sich aus der Nähe manches anders darstellte, als es dem Protagonisten derzeit erscheint.

Über all diesen Ereignissen liegen die kleinen Sorgen und Nöte der Charaktere -- insbesondere eben die Nevares -- und die bringt einem die Autorin eben sehr nahe.

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Thank you, Jeeves ist die erste Geschichte über Jeeves in Romanform -- die früheren Bücher sind nur Sammlungen von Kurzgeschichten. Diese knüpfen zwar meist auch aneinander an, da aber jedes Kapitel einen eigenen Spannungsbogen hat, ist der Gesamteindruck oft etwas unruhig. Die gleichmäßigere Entwicklung, die ein Roman ermöglicht, habe ich durchaus genossen.
Sprachlich ist das Werk wie zu erwarten brillant, und ich habe einmal mehr Jeeves und Wooster gefunden, wie ich sie kenne und liebe: Schnodderigkeit gegen sprachliche Präzision, der verlebte Tag gegen Effizienz und Zielstrebigkeit, die beiden geben ein wunderbares Paar ab.

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Vor vielen Jahren -- vielleicht zehn oder etwas mehr -- habe ich in meiner Stammbuchhandlung zum ersten Mal einen Otherland-Band gesehen. Aus irgendeinem Grunde habe ich zwar ab und an einen Blick darauf geworfen, mich aber nie weiter dafür interessiert.

Inzwischen habe ich Stadt und Buchhandlung gewechselt, aber als mein Blick Anfang 2009 auf City of Golden Shadow fiel, da habe ich zugeschlagen. Die geheimnisvolle Stadt, die auf dem Buchdeckel abgebildet ist, mag bei meiner Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Aber wichtiger noch waren die Konnotationen, die in dem Namen Otherland mitschwangen: ich stelle mir eine Welt vor, die völlig anders ist, entrückt, eben nicht von dieser Welt. Das hat sich wieder so angefühlt wie damals, als der Protagonist eines Egan-Romans von seinen Kindheitserinnerungen an die Kähler-Mannigfaltigkeit berichtete; nur, daß ich damals sofort, nachdem ich das Zitat in einer Rezension entdeckt hatte, hin und weg war. Bei Otherland hat sich die Spannung langsam, über Jahre aufgebaut.

Nun lag der erste Band also vor mir. Daß es doch recht lange -- etwa ein Jahr -- gedauert hat, bis ich die gut neunhundert Seiten durchgelesen hatte, stellt ihm kein gutes Zeugnis aus.

Die Geschichte spielt in der nahen Zukunft. Ein weltweites Computernetzwerk -- man könnte es Web 3.0 nennen -- ist allgegenwärtig, und der Zugang erfolgt in der Regel in der Art der virtuellen Realität: man sitzt nicht vor dem Bildschirm, sondern taucht mit Brille und Datenhandschuhen (oder gleich durch ein Implantat) völlig ein in die Computerwelt.

Der Autor präsentiert eine Reihe von Erzählsträngen, die erst im Laufe der Zeit zusammengeführt werden. Da gibt es Thargor, den sehr stereotypen schwertschwingenden Helden in einer ebenso stereotypen Fantasywelt, offensichtlich ein Rollenspiel. Dazu findet man einige undurchsichtigere Episoden, etwa über einen psychopathischen Serienmörder oder einen altägyptischen Gottkönig.

Sehr beeindruckend im Sinne meiner Otherland-Erwartungen, aber auch sehr beängstigend finde ich die Handlung um Paul Jonas, die das Buch auch eröffnet: er ist Soldat in einem Schützengraben im ersten Weltkrieg, aber Kulisse und Handlung sind in ihrem Schrecken seltsam abstrahiert, der Beschuß nie endend, Jonas' Erinnerung verblaßt, sein Erleben von seltsamen Träumen geprägt. Dieser Erzählstrang blieb für mich lange unklar, aber er gehört zu den stärkeren Seiten des Romans.

Die Haupthandlung ist dagegen so gewöhnlich, daß sie sich fast im eigenen Bekanntenkreis abspielen könnte: die Südafrikanerin Irene Sulaweyo (Renie) lehrt an der Universität, muß sich aber nebenbei um ihren Bruder kümmern, der noch ein Kind ist, und ihren Vater, der seit dem Tod der Mutter apathisch geworden und dem Alkohol verfallen ist. Ihre kleinen Sorgen und Nöte spitzen sich zu, als ihr Bruder plötzlich ins Koma fällt. Bei ihren Recherchen findet Renie heraus, daß es überall auf der Welt ähnliche Fälle gibt. Zusammen mit einem ihrer Studenten, dem Buschmann !Xabbu, macht sie sich daran, den Grund für die Epidemie aufzudecken.

Ich bin durchaus kein Feind von Erzählungen mit Längen -- allerdings erwarte ich schon, daß diese Längen einen erzählerischen Sinn haben. Wenn City of Golden Shadow an die vierhundert Seiten Vorgeplänkel braucht, bis der Leser überhaupt weiß, worum es sich dreht -- bis sozusagen die Frage gestellt ist und die Suche nach der Antwort beginnen kann -- dann möchte ich auch, daß das Vorgeplänkel an sich und ohne den Hintergrund des Romans eine spannende Geschichte bietet. Frei nach Saint-Exupéry soll eben kein Satz gestrichen werden können. Bei einigen der Erzählstränge hat Williams das geschafft -- vor allem eben bei dem um Paul Jonas -- aber die Geschichte um Renie plätschert leider recht langweilig vor sich hin. Wenn es andererseits nur um die Vorstellung der Charaktere gegangen wäre, dann hätte man das auch wesentlich weniger raumgreifend tun können.

Ab diesem Punkt, an dem also Charaktere und Kulisse an Ort und Stelle sind und die eigentliche Handlung beginnt, ist das Buch dann endlich spannend und mitreißend bis zur letzten Seite. Damit sind wir auch schon bei dem zweiten Problem, das ich mit City of Golden Shadow habe: es hat kein Ende. Damit meine ich nicht, daß etwa das Dénouement zugunsten eines Cliffhangers fehlte. Vielmehr hört das Buch einfach mitten in der Handlung -- aber mitnichten an einer herausragend spannenden Stelle -- auf. Zugegeben, Otherland gilt als ein langer Roman, der lediglich aufgrund äußerer Umstände in vier Bänden erschienen ist (Bücher mit viertausend Seiten lassen sich nunmal schlecht binden oder verkaufen). Allerdings erwarte ich trotzdem, daß die einzelnen Bände wenigstens in Grundzügen einen Abschluß bieten, zum Beispiel indem eine Teilhandlung beendet und die nächste noch nicht begonnen ist. Das klappt bei den allseits beliebten Trilogien ja auch, selbst beim Herrn der Ringe, der ursprünglich als einbändiges Werk geplant und dann vom Verlag aus wirtschaftlichen Gründen geteilt wurde.

Zusammenfassend finde ich -- ohne Kenntnis der anderen Bände -- die Geschichte durchaus interessant und spannend, wegen des viel zu langen Anfangs und des fehlenden Endes mag ich aber trotzdem nur drei von fünf Sternen vergeben.

[Edit: Typo]

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